Samstag, Juli 15, 2006

Nr. 2048-56

Ein Tischchen mit einer Flasche Champagner und mehreren Gläsern.
Auf den ersten Blick eine Nische in einer gemütlichen Weinstube.
Eine Deckenlaufschiene mit beweglichen Haken.
Mehrere Frauen in Talar, Uniform oder Zivilkleidung betreten durch eine kleine Tür den Raum. Versammeln sich der Kamera gegenüber und grüßen. Sie schenken sich Gläser ein, prosten zur Kamera hin, nehmen eine förmliche Haltung ein und trinken.
Schließlich ist es eine schöpferische Idee, die die Vorsitzende in ihrem Befehl an die Scharfrichterin zum Ausdruck gebracht hat:
„Ich will, dass sie erhängt werden, aufgehängt wie Windhündchen!“
Die Frauen vor der Kamera sehen sich plötzlich um. Der rasche Kameraschwenk erreicht die Tür gerade noch rechtzeitig um den nackten Mann mittleren Alters zu erfassen, der, von Aufseherinnen angetrieben, zur Tür hereinstolpert, die Hände mit Draht am Körper festgebunden.
Eine unter den Zivilen packt den Nackten mit einem Griff, und verrät sich augenblicklich als Scharfrichterin mit großer Praxis. Ihm wird die Ehre einer wirklichen Künstlerin zu teil werden. Wie eine Zauberin knüpft sie am Hanfseil die Trag- und die Würgeschlinge, wie eine Dirigentin gibt sie ihren Helferinnen das Zeichen zum Einsatz, diesen ersten auf den Schemel zu heben, und schließlich beginnt sie wie eine Bildhauerin dessen Totenmaske zu modellieren, indem sie mit der Präzision einer Maschine ihren Fuß an den Schemel setzt und diesen millimeterweiße umkippt, damit der Strang das Gewicht des Delinquenten grammweise übernimmt, und ihr Kunde ohne Bekleidung und Haube gezwungen ist, der prominenten Betrachterin dieses Films sein Ende von A bis O vorzuführen, einschließlich der physiologischen Reaktionen, die es der geneigten Zuseherin ermöglichen, den exakten Moment des Abgefertigtseins mit dem bloßen Auge zu bestimmen. Dann stemmt sich die Vollstreckerin gegen den Abgefertigten und sendet ihn über die Laufschiene zur anderen Seite des Raumes. Darauf trinkt sie ein Gläschen Champagner, das ihr eine jüngere Gehilfin reicht, und spitzt die Lippen.
Da wird der nackte Zweite hereingetrieben.
Mit unerschöpflichem Humor sorgt die Chefin dafür, dass Gesicht um Gesicht in fast gleichen Intervallen sämtliche Stadien des Erstickens durchläuft. Penis um Penis hebt sich, um seiner Aufknüpferin den letzten Gruß zu entbieten, und sobald er erschlafft vom Exitus kündet, wird sein Besitzer wie ein Hund die Laufschiene entlang geschickt, bis er an seinen Vorgänger stößt.
Jede Nummer endet mit einem Gläschen Champagner, dabei wird der nächstfolgende Kandidat von ihr keineswegs langsamer oder nachlässiger abgefertigt.

Es ist wie bei wirklich großen Konzerten, man hat den Eindruck, es ginge weiter, obwohl das letzte Bild mit den acht Stück hängenden männlichen Windhündchen, von den Helferinnen rasch seitlich gedreht, damit sie der Vorsitzenden nicht die hervorgequollene Zunge entgegenstrecken oder gar den Hintern hinrecken, schon längst erloschen ist, und nur der monotone Bildschirm flimmert.

(nach Die Henkerin, S76ff)

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